Gefühle zulassen statt verdrängen: Der Weg zu innerer Stärke

In unserer Gesellschaft wird viel Wert auf Erfolg, Stärke und Kontrolle gelegt. Gefühle zu zeigen, besonders solche, die als „negativ“ gelten, wird oft als Schwäche betrachtet. Das führt dazu, dass viele Menschen ihre Emotionen unterdrücken und den Kontakt zu ihren inneren Bedürfnissen verlieren. Besonders Männer stehen dabei vor großen Herausforderungen. Gefühle wie Traurigkeit, Wut oder Angst zu zeigen, ist für sie häufig noch weniger akzeptiert. Ein Mann, der weint oder seine Ängste offenbart, wird schnell als schwach, unsicher oder verletzlich abgestempelt. Doch diese Bewertung unserer Emotionen und das Bedürfnis, sie zu verbergen, erzeugt enormen inneren Stress. Es trennt uns von uns selbst und hindert uns daran, authentisch zu leben.

David R. Hawkins beschreibt in seiner „Skala des Bewusstseins“, wie verschiedene emotionale Zustände unsere Energie und unser Wohlbefinden beeinflussen. Die Skala reicht von den niedrigsten, schwächenden Emotionen wie Scham, Schuld und Angst bis hin zu den kraftvollen Gefühlen von Liebe, Freude und Frieden. Die unteren Ebenen der Skala – wie Scham, Schuld und Angst – saugen förmlich unsere Lebensenergie aus. Sie schwächen uns, rauben uns Kraft und halten uns in einem Zustand der inneren Anspannung. Menschen, die sich in diesen Gefühlszuständen befinden, erleben das Leben oft als Kampf, voller innerer Konflikte und Zweifel. Sie fühlen sich schnell überfordert, gefangen in negativen Gedanken und oft von einem tiefen Gefühl der Wertlosigkeit geplagt. Auf dieser Ebene sind wir wie gelähmt, unfähig, unsere Potenziale zu erkennen und unser Leben wirklich zu gestalten.

Das eigentliche Problem dabei ist auf keinen Fall das Vorhandensein von Gefühlen, sondern unser Umgang mit ihnen. Wir versuchen, sie zu verdrängen, weil wir gelernt haben, dass sie uns klein und verletzlich machen. Doch gerade dieses Verdrängen verursacht langfristig viel Stress. Denn Emotionen verschwinden nicht einfach, nur weil wir sie ignorieren. Sie bleiben im Körper, verankern sich in uns und beeinflussen unser Denken, Fühlen und Handeln, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Das führt zu einem ständigen inneren Druck und einer latenten Unzufriedenheit, die uns irgendwann einholt – sei es durch körperliche Beschwerden, mentale Erschöpfung oder durch das Gefühl, im Leben auf der Stelle zu treten.

Ein Perspektivwechsel ist hier von großer Bedeutung: Anstatt unsere Gefühle zu verurteilen oder zu unterdrücken, können wir lernen, sie anzuerkennen und als wertvolle Hinweise zu betrachten. Jedes Gefühl, auch das scheinbar negative, trägt eine Botschaft in sich. Es zeigt uns, wo wir stehen, was uns verletzt oder was wir wirklich brauchen. Nehmen wir Wut als Beispiel: Sie ist nicht einfach nur ein zerstörerisches Gefühl. Sie kann uns auch aufzeigen, wo unsere Grenzen überschritten wurden, wo wir uns ungerecht behandelt fühlen oder wo wir in unserem Leben etwas verändern möchten. Anstatt die Wut wegzudrücken, könnten wir uns fragen: „Was genau bringt mich in diese Rage? Und was ist es, das ich mir stattdessen wünsche?“

Ein bewusster Umgang mit Emotionen erfordert jedoch Mut und Selbstreflexion. Und gibt uns auch die Möglichkeit, uns von den niedrigeren Energiezuständen zu befreien und zu einem höheren Bewusstsein zu gelangen. Es bedeutet, sich mit den eigenen Verletzungen auseinanderzusetzen, die darunterliegende Scham, Schuld oder Angst zu fühlen, aber nicht darin stecken zu bleiben. Diese Emotionen brauchen Raum und Anerkennung, um sie schließlich zu transformieren – in Akzeptanz, in Selbstmitgefühl und letztlich in innere Stärke. Auf der Skala von Hawkins bedeutet das, sich von einem schwächenden Zustand in einen stärkenden zu bewegen. Sobald wir die Blockaden und den inneren Widerstand gegen unsere Gefühle aufgeben, setzt das enorme Energien frei. Wir fühlen uns lebendiger, klarer und beginnen, uns selbst besser zu verstehen.

Wie aber lässt sich dieser Prozess in den Alltag integrieren? Es beginnt damit, achtsam zu sein und Gefühle wahrzunehmen, ohne sie sofort zu bewerten. Anstatt vor einer unangenehmen Emotion wegzulaufen oder ihr „blind“ zu folgen, könnten wir sie bewusst spüren, ihr einen Moment lang Raum geben und uns fragen, welche Botschaft sie uns übermitteln möchte. Das kann am Anfang herausfordernd sein, besonders wenn man es gewohnt ist, diese Gefühle schnell zu unterdrücken oder in Aktionismus zu verfallen. Doch mit der Zeit wird es leichter, und man beginnt, ein tiefes Verständnis für sich selbst zu entwickeln.

Danach sollte der Perspektivwechsel folgen. Wenn wir beispielsweise feststellen, dass wir häufig von Angst begleitet werden, könnten wir überlegen, ob diese Angst uns etwas mitteilen will. Vielleicht fordert sie uns auf, genauer hinzusehen: Was ist es, das uns bedroht oder uns aus der Bahn wirft? Und was brauchen wir, um uns sicherer zu fühlen? Es geht nicht darum, die Angst sofort loszuwerden, sondern sie als Teil unseres inneren Systems zu akzeptieren und sie letztlich umzuwandeln – vielleicht in Vertrauen oder in Entschlossenheit. Du BIST nicht deine Angst, Angst ist ein TEIL VON DIR.

Emotionen sind also kein Hindernis, das es zu loszuwerden gilt, sondern ein Zugang zu einem tieferen Selbstverständnis. Sie helfen uns, Stress zu reduzieren, indem sie uns zeigen, wo etwas in uns in Unordnung ist. Sie lenken unsere Aufmerksamkeit auf die Bereiche, die wir pflegen und heilen müssen, um innerlich ausgeglichener und widerstandsfähiger zu werden. Wenn wir lernen, unsere Gefühle zu fühlen, anstatt sie zu verdrängen, dann befreien wir uns von dem inneren Druck und öffnen uns für mehr Klarheit, Energie und Lebensfreude. So verwandelt sich Stressmanagement von einem ständigen Kampf in eine bewusste und achtsame Lebensweise, die uns zu einem tieferen Verständnis unserer selbst führt. In meiner Arbeit setze ich oft die Innermetrix-Analyse ein, um Menschen zu helfen, ihre verborgenen Potenziale zu entdecken und die Blockaden, die sie zurückhalten, zu erkennen. Diese Analyse bietet zusätzlich tiefe Einblicke in die eigenen Stärken, Motivationen und auch die emotionalen Barrieren, die uns im Weg stehen. Wenn man versteht, warum bestimmte Gefühle in bestimmten Situationen auftauchen, und wie sie mit dem eigenen inneren Erleben zusammenhängen, wird es leichter, sie anzunehmen und schließlich in eine kraftvolle Ressource zu verwandeln.

In diesem Prozess entfaltet sich ein neues Mindset: Wir beginnen, uns selbst und unsere Gefühle als Ganzes zu akzeptieren, ohne die Teile von uns abzulehnen, die wir als „schwach“ oder „unnötig“ erachten. Wir erkennen, dass genau in diesen scheinbar schwächenden Emotionen eine enorme Kraft liegt. Es ist die Kraft, alte Wunden zu heilen, blockierte Energie wieder in Fluss zu bringen und unser volles Potenzial zu entfalten. Denn genau das ist das Ziel: Ein Leben, das im Einklang mit unserem inneren Wesen steht, frei von inneren Kämpfen und voller bewusster Stärke und Klarheit.

Grenzen setzen! Kannst Du NEIN sagen?

Das Gefühl, „NEIN“ zu sagen, ist für viele von uns eine große Herausforderung. Oft empfinden wir dabei Schuld oder Unbehagen, weil wir glauben, für die Emotionen anderer verantwortlich zu sein. Dieses Glaubenskonstrukt führt dazu, dass wir unsere eigenen Bedürfnisse vernachlässigen – sowohl im Privatleben als auch im Beruf. Was wir dabei oft übersehen, ist die Tatsache, dass das Setzen von Grenzen und das „Nein-sagen“ nicht nur eine Frage der Selbstachtung ist, sondern auch ein essentieller Teil der Selbstfürsorge.

Viele Menschen erleben Schuldgefühle, wenn sie anderen gegenüber Grenzen setzen. „Deine Anspannung ist meine Anspannung“ – dieser innere Dialog ist weit verbreitet und wirkt oft wie ein unsichtbares Band, das uns daran hindert, für uns selbst einzustehen. Schuldgefühle sind oft an Verantwortung geknüpft, weil wir glauben, dass wir dafür verantwortlich sind, dass es anderen gut geht, und übersehen dabei, dass die Anspannung unseres Gegenübers vielleicht die Lektion ist, die es braucht, um zu wachsen.

Im beruflichen Umfeld spiegelt sich dieses Muster oft noch stärker wider. Hier gibt es zusätzliche Erwartungen und Leistungsdruck, die es uns schwer machen, Nein zu sagen. Vielleicht hast du schon einmal zusätzliche Aufgaben übernommen, obwohl du keine Kapazität mehr hattest, weil du dachtest, es sei von dir erwartet. Oder du hast Kollegen oder Vorgesetzten den Vorrang gegeben, obwohl du wusstest, dass du dich dabei selbst überforderst. Im Berufsalltag fühlen wir uns oft verpflichtet, immer verfügbar zu sein und alles zu tun, um niemanden zu enttäuschen – aber das geht oft auf Kosten unserer eigenen mentalen und physischen Gesundheit.

Grenzen zu setzen und Nein zu sagen ist hier kein Zeichen von Schwäche oder mangelndem Engagement, sondern ein Ausdruck von Selbstachtung und – ganz entscheidend – von Selfcare. Selbstfürsorge bedeutet, auf seine eigenen Bedürfnisse zu achten, bevor man sich für andere aufopfert. Sie beginnt bei den kleinen Entscheidungen, bei denen wir für uns einstehen. Wenn du regelmäßig deine eigenen Grenzen übergehst, um anderen gerecht zu werden, verlierst du auf Dauer nicht nur Energie und Freude an dem, was du tust, sondern auch den Kontakt zu dir selbst.

Selbstfürsorge im beruflichen Kontext zeigt sich nicht nur in der Fähigkeit, respektvoll Nein zu sagen, sondern auch darin, wie du mit deiner Zeit, deiner Energie und deinen Kräften umgehst. Wenn du immer wieder über deine eigenen Grenzen hinausgehst, gerätst du früher oder später an den Punkt der Erschöpfung – emotional und körperlich. Burnout und chronische Überlastung sind die Folgen eines anhaltenden Ungleichgewichts, bei dem du dich selbst immer wieder hinten anstellst. Deshalb ist es so wichtig, dass du lernst, für dich zu sorgen, indem du deine Bedürfnisse ernst nimmst und klar kommunizierst.

Im privaten Leben ist Selfcare ebenfalls von großer Bedeutung. Vielleicht bist du es gewohnt, für die Bedürfnisse deiner Familie oder deiner Freunde da zu sein und dich dabei selbst zurückzunehmen. Doch auch hier gilt: Du bist nicht verantwortlich für das Wohlbefinden anderer. Wenn jemand durch dein beherztes Nein enttäuscht oder angespannt ist, ist das vielleicht die Lektion, die sie brauchen, um zu lernen, wie sie mit ihren eigenen Gefühlen umgehen können. Indem du immer wieder deine eigenen Grenzen aufweichst, beraubst du sie dieser wertvollen Möglichkeit.

Es mag schwerfallen, aber die wichtigste Lektion dabei ist, dass deine Grenzen und deine Zeit ebenso wertvoll sind wie die der anderen. Du kannst nicht für alle immer verfügbar sein, und das musst du auch nicht. Selfcare bedeutet, sich selbst den Raum zu geben, den man braucht, um zu regenerieren, aufzutanken und bei sich anzukommen. Ohne diese Zeit und diesen Raum verlierst du dich in den Erwartungen und Bedürfnissen der anderen und gibst zu viel von dir selbst auf.

Ein häufiges Missverständnis ist, dass Selfcare etwas Egoistisches sei. Doch das Gegenteil ist der Fall: Nur wenn du gut für dich selbst sorgst, kannst du auch wirklich für andere da sein. Wenn du emotional und körperlich ausgelaugt bist, kannst du weder deine Arbeit gut erledigen noch für die Menschen um dich herum da sein. In diesem Sinne ist Nein zu sagen ein zentraler Aspekt von Selbstfürsorge – es ist ein Akt der Selbsterhaltung, der dir erlaubt, deine eigene Energie zu schützen und sie dort einzusetzen, wo es für dich und andere wirklich sinnvoll ist.

Es kann zu Beginn unbequem sein, vor allem, wenn du es gewohnt bist, den Erwartungen anderer zu entsprechen. Doch je öfter du übst, deine Grenzen zu wahren, desto stärker wirst du dich fühlen. Und du wirst merken, dass andere nicht nur deine Grenzen respektieren, sondern auch lernen, Verantwortung für ihre eigenen Emotionen und Herausforderungen zu übernehmen. Sie müssen selbst Wege finden, um mit ihren Spannungen umzugehen, und das ist ein wichtiger Schritt in ihrem eigenen Wachstum.

Selfcare bedeutet auch, sich regelmäßig Zeit für sich selbst zu nehmen und sicherzustellen, dass du genug Raum für Regeneration hast – ob das durch kleine Pausen im Alltag, regelmäßigen Schlaf oder Momente der Achtsamkeit geschieht. Und es bedeutet, aktiv Entscheidungen zu treffen, die dein Wohlbefinden unterstützen, auch wenn das heißt, anderen manchmal ein Nein zu geben. Deine eigene Gesundheit, dein emotionales Gleichgewicht und deine innere Zufriedenheit müssen Priorität haben, wenn du langfristig ausgeglichen und stark bleiben willst.

Im beruflichen Kontext könnte das bedeuten, klare Arbeitszeiten zu haben und darauf zu bestehen, dass diese eingehalten werden. Es könnte bedeuten, Aufgaben abzulehnen, wenn du bereits überlastet bist, oder um Unterstützung zu bitten, anstatt alles allein zu stemmen. Im privaten Leben könnte das bedeuten, sich Zeit für sich selbst zu nehmen, auch wenn Familie oder Freunde gerade etwas von dir erwarten. Es ist in Ordnung, sich selbst an erste Stelle zu setzen, denn nur so kannst du deine beste Version für dich und andere sein.

Das Nein sagen ist ein kraftvoller Ausdruck von Selfcare. Es ist eine Botschaft an dich selbst, dass du wertvoll bist, dass deine Zeit und Energie wichtig sind und dass du Verantwortung für dein eigenes Wohlbefinden übernimmst. Es gibt dir die Freiheit, deinen eigenen Weg zu gehen und in deiner Kraft zu stehen, ohne dich von den Erwartungen anderer lenken zu lassen. Und genau darin liegt die wahre Selbstfürsorge: sich selbst zu respektieren, seine Bedürfnisse zu erkennen und sich den Raum zu geben, den man braucht, um erfüllt und gesund zu leben